KOMMT MORGEN WIEDER

people, politics

Aus der Unterkunftsvermittlung an ukrainische Flüchtlinge

Oft erfolgloses Warten auf eine Bleibe trotz scheinbar riesigem Engagements

Es ist 13.12 als ich mich auf den Weg mache, 13.46 als ich den Raum betrete und 17.13 als Herr Y. aus der Ukraine endlich weiß, wo er die nächste Nacht verbringen wird.

Er ist der erste in der Schicht ab 14.00, der den Raum im Erdgeschoss der Seidlstraße 2 betritt. Begleitet von der Hoffnung einen Platz zum Bleiben zu finden. Er macht einen entspannten Eindruck, versucht trotz fehlender Deutsch- und Englischkenntnisse sich mit mir zu unterhalten. Draußen wartet seine Freundin auf ihn, die beiden stehen bereits seit einigen Stunden in der Schlange, sie sind froh, dass sie an diesem Tag überhaupt noch drankommen. Seine Freundin allerdings braucht keine Bleibe mehr, Frauen werden in der Unterkunftsverteilung bevorzugt.

Ich registriere den jungen Mann vor mir, trage all die Daten aus seinem Pass in das Register ein. Er ist groß, hat einen festen Gang und sitzt selbstsicher vor mir. Erst beim Alter werde ich stutzig, denn der Mann vor mir ist gerade erst volljährig geworden.

CHANCENLOS

Mir wird erklärt, dass es deutlich einfacher ist für eine einzelne Person eine Unterkunft zu finden. Zwei Personen sind auch noch möglich, doch mehr als drei Personen will beinahe niemand bei sich aufnehmen. Und wenn es doch verfügbare Stellen im Register gibt, ist die Miete meist unerschwinglich. Und so wird die sechsköpfige Familie am Nachbartisch schon nach verschwindend kurzer Zeit mit entschuldigenden Worten weggeschickt.

So bin ich zunächst sehr optimistisch für den jungen Mann vor mir schnell etwas zu finden. Doch dieser Optimismus wird schon bald bitter enttäuscht. Die meisten, die ich anrufe, gehen gar nicht erst ran. Ein, zwei Mal werde ich weggedrückt, ein anderes Mal springt immerhin noch die Mailbox an. Klar, es ist mitten an einem Arbeitstag, doch nach dem Blick in die Spate für Bemerkungen muss ich bei vielen feststellen, dass sie seit dem Tag der Registrierung nicht mehr zu erreichen waren. Nach einer Stunde telefonieren bekomme ich langsam das Gefühl, dass viele der Angebote mehr aus dem Trend, mehr aus einem sonst schlechten Gewissen entstanden sind. Als ich nach über anderthalb Stunden endlich jemanden an die Leitung bekomme, teilt der Herr mir mit, dass er sein Angebot zurückzieht und möchte, dass ich ihn aus dem Register lösche.

MIT HÄNDEN UND FÜßEN

Dolmetscherinnen sind Mangelware, ich selbst pendle die ganze Zeit zwischen deutsch und englisch. Doch damit komme ich nicht weit, denn die meisten der Geflüchteten sprechen nur russisch. Deshalb läuft es meist auf Zeichensprache oder den Online-Übersetzer hinaus. Nur vom Nebentisch kommen immer wieder deutsche Brocken herüber, ein kleiner Junger, der mit seinem Onkel, Herrn Z., hier ist, lernt in der Schule deutsch. Wie Herr Y. warten sie auch den ganzen Tag auf ihren Stühlen.

Der Kleine heitert die frustrierte Stimmung etwas auf, quatscht mit den anderen Flüchtlingen und dem Ordner an der Tür. Er springt herum mit einer Energie, die nur Grundschülerinnen haben und lenkt so etwas davon ab, dass er und sein Onkel noch immer, auch um 16.00, keine Bleibe für die Nacht haben.

Die Telefone laufen weiter heiß, erreicht wird kaum jemand. Die meiste Zeit ist es still in dem kleinen Raum. Suchen, tippen, wählen, suchen, tippen, wählen. Alle halbe Stunde hört man einmal „Hallo, von den Münchner Freiwilligen hier. Es geht, um ihr Angebot Gäste aus der Ukraine bei sich aufzunehmen…?“ Doch die Menschen gegenüber bleiben die gleichen.

BLOSS NICHT AUFGEBEN

Gegen 16.30 muss sich noch einmal neu sortiert werden, denn die Hälfte der Technik gibt den Geist auf. Auch ich gehe nun zu Teamarbeit über, setze mich zu dem Ehrenamtlichen am Tisch neben mir. Er betreut den Onkel und seinen Neffen, wartet nun auf einen letzten Rückruf, die letzte Hoffnung für diesen Tag. Ich suche weiter für Herrn Y., bin mittlerweile auf Seite 10 der Angebote angekommen. Er hat in München eine Arbeit gefunden und möchte deshalb gerne in der Stadt wohnen. Eine Stunde Fahrt sei okay teilt er mir ganz am Anfang mit. Nach fast drei Stunden Suche sind wir bei zweieinhalb. Doch auch so weit außerhalb der Stadt sieht es schlecht aus. Ich suche weiter, rufe Nummern erneut an, erweitere die Suchkriterien immer weiter. Nur um nicht aufzugeben.

Dem Onkel und seinem Neffen steht nun genau diese Nachricht nur bevor. Der Rückruf kam nicht mehr. Trotzdem will er nicht gehe, bleibt weiter sitzen. Nicht wahrhaben, dass er und sein Neffe eine weitere Nacht in der überfüllten Notunterkunft bleiben müssen.

„Scheiß Putin.“ Sagt er irgendwann. Trotz der Absage sitzt er noch immer hier, scheint die Absage nicht akzeptieren zu wollen. Er zeigt uns Bilder, versucht uns mit dem Online-Übersetzer zu erzählen, was passiert ist. Er kommt aus dem Südwesten der Ukraine. Er berichtet von Bomben, die im Nachbarhaus eingeschlagen sind, liest die Zahlen der Toten vor, viele von ihnen kannte er.

Sein Neffe scheint von der verzweifelten Lage nichts mitbekommen zu haben, er hat im Nebenzimmer einen Tetrapak Saft gefunden. Seine beiden Eltern sind im Krieg ums Leben gekommen.

Die letzte Stunde meiner Schicht bricht an, die Frustration bereits unermesslich. Doch nicht nur bei mir, sondern auch bei den anderen ehrenamtlichen Helfer*innen ist die Stimmung schlecht. Ich habe mir das ganze deutlich einfacher vorgestellt, vor allem habe ich mit mehr Erfolg gerechnet. „Es ist schon sehr frustrierend, wenn man merkt, wie wenig man ausrichten kann.“, sagt Lionel, einer der anderen Helfenden zu mir. Er ist bereits einige Tage dabei gewesen. „Und am schlimmsten ist es, den Menschen nach Stunden des Wartens sagen zu müssen, dass man nichts für sie gefunden hat.“

ALLES GLÜCKSSACHE

Auf einmal klingelt das Telefon, eine Frau, die im Laufe des Tages von einem der Mithelfenden kontaktiert wurde, hat zurückgerufen. Und plötzlich heißt es „haben wir hier eine alleinstehende Person?“ Schwung kommt in die Menge, eine solche Chance tut sich selten auf. Direkt zeige ich auf Herrn Y.: „Er, er sucht noch etwas!“ Kurz die Ernüchterung, zuerst müssen alle Frauen untergebracht sein. Doch nach einem kurzen Moment des Bangens steht es fest: Herr Y. kann vermittelt werden. Zwar kann er nur bis Samstag dortbleiben, danach geht die Suche von vorne los. Doch besser als gar nichts, er ist überglücklich, als er nach draußen geht und seiner Freundin die gute Botschaft überbringt.

Herr Y., 18 Jahre, hat eine Unterkunft bis Samstag, danach muss er sich erneut auf die Suche begeben.

Herr Z. und sein Neffe sind vorerst notdürftig untergebracht, sie beide erwartet ab nächster Woche eine feste Unterkunft.

Frau O. hat bislang noch keine Bleibe.

Der sechsköpfigen Familie wurden angesichts der mageren Angebotslage vorerst keine weiteren Hoffnungen gemacht.

Dem Familienvater von zwei Kindern und seine Frau wurden nach 3 Stunden Suche aufgrund fehlender Möglichkeiten weggeschickt.

Ich verlasse um 18.17 das Vermittlungsbüro, erschöpft und müde vom Erlebten. Ich bin heilfroh einfach nach Hause gehen zu können.


Quellen

Als Quelle bleibt mir an dieser Stelle einzig die Erfahrung der Arbeit und die Gespräche mit den Menschen zu nennen. Denn alles was ich verwendet habe, entstand aus der persönlichen Interaktion innerhalb meiner Tätigkeit als Münchner Freiwillige. Die Geschichten und Erfahrungen der Geflüchteten auf der einen Seite, ihre Ansichten und Standpunkte und Perspektiven. Auf der anderen Seite die Arbeit als solche. Alles was ich neu gelernt habe, was ich aus dem Gespräch mit den anderen Helfenden mitgenommen habe und was ich auch ganz persönlich innerhalb dieses Prozesses daraus gezogen habe.
Ich kann definitiv sagen, dass eine Quellenlage wie diese mir die liebste ist: Von Mensch zu Mensch zu Mensch.

Bildquelle

Illustration von mir auf Grundlage des Logos der Münchner Freiwilligen

Vorlage: https://i1.wp.com/welcomehelp.eu/wp-content/uploads/2016/03/muenchner-freiwillige-wir-helfen.jpg?w=848

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